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 [TAZ 12.09.96 S. 12 Nr. 105]

[das buro] Radikal verboten

Der Generalbundesanwalt inszeniert einen neuen Zensurversuch des
Internet

Zu den treusten Lesern der Zeitschrift radikal gehoert seit vielen
Jahren der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Seit er die neuste Nummer
durchgesehen hat, ist mal wieder Gefahr in Verzug bei linken Buchlaeden
und Wohngemeinschaften, zum ersten Mal aber auch bei
Internetprovidern. Denn die radikal ist seit mehren Monaten unter der
Adresse http:// www.xs4all.nl/~tank/radikal/ abrufbar. In voller
Laenge, was das Lesevergnuegen nicht unbedingt erhoeht, aber die
Bundesermittler zu einem Vorstoss in ganz ungewohntes Gebiet reizte.
Sie haben seither allen Ernstes vor, das Informationsnetz zu stoeren,
das einst vom Pentagon aufgebaut wurde. Es ist ihnen bereits gelungen,
den zweiten deutschen Fall von Internetzensur zu inszenieren. Erstmals
fordert auch der Generalbundesanwalt deutsche Internetprovider unter
Androhung strafrechtlicher Konsequenzen dazu auf, den Zugang zu
Dokumenten zu sperren, die im Internet frei verfuegbar sind.

Weltweite Beachtung ist ihm deshalb sicher, die ebenso globale
Blamage allerdings ist auch schon absehbar. Die radikal ist inzwischen
auf ueber zwanzig anderen Rechnern abrufbar, deren Betreiber sie aus
Protest uebernommen haben. Geradezu triumphiernd verkuendet Felipe
Rodriguez, Webmaster des niederlaendischen Servers, auf der Homepage:
"Deutschland zensiert xs4all!"

Der Name ist als "Zugang fuer alle" leicht zu entziffern, und in
diesem Sinne hat eine niederlaendische Europaabgeordnete am Dienstag
eine Anfrage an die EU- Kommission in Bruessel gerichtet. Die
Politikerin moechte unter anderem die Frage geklaert haben, ob "die
Blockade eines niederlaendischen Providers fuer deutsche Kunden, daher
von Dienstleistungen der niederlaendischen Industrie, eine Verletzung
des Freihandelsabkommens im europaeischen Binnenmarkt" darstelle.

Bislang ist die Streitfrage jedoch von bloss theoretischem Interesse.
Der Hausserver der radikal ist erreichbar geblieben, die Techniker
unterlaufen jeden Blockadeversuch mit staendig wechselnden numerischen
Internetadressen. Die Sperrung des Namens gleicht deshalb dem
Wettrennen zwischen Hase und Igel: Wenn die richtige Zuordnung
festgestellt ist, gilt sie schon nicht mehr.

Davon liess sich der Generalbundesanwalt jedoch nicht beeindrucken.
"Wir warten ab, was geschieht", laesst sich der Sprecher vernehmen,
weitere Schritte koennten der OEffentlichkeit nicht bekanntgegeben
werden. Besonders ein Artikel in der neuen radikal unter der
UEberschrift "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten
aller Art" hat den Diensteifer geweckt. Er enthaelt technische
Ausfuehrungen zum Signalsicherungssystem der Bundesbahn und daraus
abgeleitete Schlussfolgerungen fuer Castor- Blockierer. Einer der
wichtigsten Saetze lautet sinngemaess: Geraete, deren Funktion du nicht
genau kennst, sind tabu.

Gluecklich der Staat, dessen schaerfste Gegener so behutsam zu Werke
gehen! Doch der Generalbundesanwalt sah rot und leitete nach alter
Gewohnheit Ermittlungen gegen die Produzenten und Verbreiter der
Zeitschrift ein. Am 30. August erreichte ein Fax aus Karlsruhe aber
auch die Kanzlei des Rechtsanwalts Michael Schneider in Hennef,
Vorstandsmitglied des Provider-Interessenverbandes "eco" und
Mitinitiator der sogenannten Internet Content Task Force, die sich
zum Ziel gesetzt hat, private Provider vor der strafbaren Verbreitung
strafbarer Inhalte zu bewahren.

Schneider hat Auszuege dieses Schreibens auf seiner eigenen Webseite
veroeffentlicht (http:// www.anwalt.de/ictf/index.htm). Die
entscheidenden Saetze lauten: "Unter folgenden Adressen im Internet:
http://www.serve.com/ spg/154/, http://www.xs4all.nl/tank/
radikal//154/ sowie unter Benutzung des Links auf der Seite http://
ourworld.compuserve.com/home pages/angela1/radilink.htm, ist die
Gesamtausgabe der Druckschrift ,radikal Nr. 154` abrufbar. Teile des
Inhalts dieser Druckschrift begruenden den Anfangsverdacht eines nach 
129a Abs.3 StGB strafbaren Werbens fuer eine terroristische
Vereinigung, einer nach  140 Nr.2 StGB strafbaren oeffentlichen
Billigung von Straftaten sowie den Anfangsverdacht eines Vergehens
der Anleitung zu Straftaten gemaess  130a Abs.1 StGB. Der
Generalbundesanwalt hat daher ein Ermittlungsverfahren gegen die
Verbreiter dieser Druckschrift eingeleitet. Sie werden darauf
hingewiesen, dass Sie sich moeglicherweise einer Beihilfe zu diesen
Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch weiterhin den Abruf dieser
Seiten ueber Ihre Zugangs- und Netzknoten ermoeglichen sollten."

AEhnlich lautende Schreiben sind inzwischen auch bei der Deutschen
Telekom, ebenso bei den privaten Onlinediensten CompuServe und AOL
eingegangen. Die Telekom ist noch dabei, eine Stellungnahme
auszuarbeiten. An Erfahrungen auf diesem Gebiet fehlt es den Grossen
der Branche keineswegs. T-Online und AOL hatten auf Anweisung der
Staatsanwaltschaft Mannheim die Seiten des Neonazis Zuendel gesperrt,
CompuServe hatte einen Proteststurm ausgeloest mit seiner von Muenchner
Staatsanwaelten empfohlenen Sperrung saemtlicher Newsgroups, die sich
mit sexuellen Themen beschaeftigen. Doch diesmal koennen Kunden der
Telekom ungehindert auf die inkriminierten Adressen zugreifen. Auch
von CompuServe oder AOL sind keine Behinderungen bekanntgeworden - die
Vorreiterrolle fiel Rechtsanwalt Schneider und seiner Internet Content
Task Force zu.

Ein Mann guten Willens, der hinter dem Schreiben aus Karlsruhe vor
allem schiere Ahnungslosigkeit in Fragen der Netztechnik erkennt. Mit
grosser Geduld versuchte er seinen Kollegen das Abc der Internetlogik
vorzubuchstabieren. In seinen Antwortschreiben ist weniger von
Paragraphen als von "Domain-Name-Servern", "IP-Paketen" und "Routern"
die Rede. Doch als Anwalt war Schneider in eine Zwickmuehle geraten.
Die Androhung des Beihilfevorwurfs wollte er nicht ignorieren und
empfahl daher den Mitgliedern des eco-Verbandes, die genannten
Adressen zu sperren - mit Ausnahme der CompuServe- Homepage der
PDS-Vorstaendlerin Angela Marquardt. Selbst in Karlsruhe sah man ein,
dass dafuer nicht die geringste Moeglichkeit besteht.

Einige eco-Mitglieder folgten dem Rat sofort, andere erst spaeter -
die radikal war laengst auf Spiegelserver ausgewichen. Der Vorwurf der
Zensur trifft sie alle an ihrer empfindlichsten Stelle, denn sie
konnten bisher den unverfaelschten, unzensierten Zugang zum Internet
als Argument gegen die Branchenriesen ins Feld fuehren. Nun droht ihnen
Schimpf und Schande. Schon die Ankuendigung der Internet Content Task
Force hatte Empoerung unter den Netzpionieren ausgeloest. Lediglich das
Argument sorgte fuer eine gewisse Nachdenklichkeit, dass
Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Rechnern gerade jene
Firmen ins Mark treffen wuerden, die mit geringem Startkapital, aber
leistungsfaehigen Netzanschluessen ihren Platz auf dem Markt behaupten.
Offiziell hat die Hauspolizei ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Der
Medienrat, der ihr nach den Vorstellungen des Interessenverbandes eco
zur Seite stehen soll, trifft sich erst Ende dieses Monats zu einer
Vorberatung in Koeln. Die Konferenz steht unter dem Titel "Ein dritter
Weg zwischen Anarchie und Polizeistaat: Sozialvertraegliche Integration
der Online- Medien in unsere Gesellschaft". Wohl auch nicht ganz das,
was der Generalbundesanwalt im Internet sucht.

                              Niklaus Habluetzel

                              (niklaus@taz.de)

                              Bemerkung: Reportage

TAZ Nr. 5025 vom 12.09.1996 Seite 12 Internet 233 Zeilen TAZ-Bericht
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