Deutschland im Herbst - Staatsanwälte drohen Internet-Service-Providern mit der Terrorismus-Keule

Von Lorenz Lorenz-Meyer

Rechtsfreie Räume, darüber ist man sich einig, sind im allgemeinen von Übel. Der Schaden, der dort angerichtet werden kann, stammt nicht immer von Missetätern, die es auf materiellen Profit abgesehen haben. Das stellten dieser Tage wieder einmal deutsche Staatsanwälte unter Beweis, indem sie den Zugriff auf die links-autonome Zeitschrift Radikal im Internet zu unterbinden suchten.

Am 30. September erhielt das "Electronic Commerce Forum e.V." (ECO), ein Zusammenschluß deutscher Internet-Service-Provider, ein Fax der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Darin wurde der Verband gebeten, allen Providern, die sich dem im Juni ins Leben gerufenen Selbstkontrolle-Projekt "Internet Content Task Force" (ICTF) angeschlossen haben, die folgende Mitteilung zu machen:

"Unter folgenden Adressen im Internet:

http://www.serve.com/spg/154/ http://www.xs4all.nl/~tank/radikal//154/

sowie unter Benutzung des Links auf der Seite

http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm

ist die Gesamtausgabe der Druckschrift 'radikal Nr. 154' abrufbar. Teile des Inhalts dieser Druckschrift begründen den Anfangsverdacht eines nach ' 129a Abs.3 StGB strafbaren Werbens für eine terroristische Vereinigung, einer nach ' 140 Nr.2 StGB strafbaren öffentlichen Billigung von Straftaten sowie den Anfangsverdacht eines Vergehens der Anleitung zu Straftaten gemäß ' 130a Abs.1 StGB. Der Generalbundesanwalt hat daher ein Ermittlungsverfahren gegen die Verbreiter dieser Druckschrift eingeleitet.

Sie werden darauf hingewiesen, daß Sie sich möglicherweise einer Beihilfe zu diesen Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten ermöglichen sollten."

Im Namen des ECO beantwortete der Rechtsanwalt Michael Schneider dieses Schreiben der Bundesanwaltschaft mit einer umfangreichen Erklärung. Er weist darin die Auffassung der Staatsanwälte zurück, daß Service-Provider sich der Beihilfe schuldig machen, wenn sie den Zugriff auf strafrechtswidriges Material ermöglichen. Sie seien vielmehr "klassische Daten-Carrier", die keinen Zugriff auf die Inhalte der übermittelten Datenpakete haben.

Weiterhin erläutert Schneider den Staatsanwälten, daß es für Internet-Service-Provider technisch nahezu unmöglich sei, selektiv einzelne Angebote eines Internet-Servers zu blockieren, ohne den Zugang zum Server insgesamt zu sperren. Mit einer völligen Sperrung der Server, so argumentiert Schneider, würden die Provider jedoch ihre Vertragspflicht gegenüber ihren Kunden verletzen, indem sie auch den Zugriff auf rechtlich unanstößige Angebote unmöglich machen. Eine Kontrolle, wie sie die Karlsruher Staatsanwälte verlangen, könne den Providern aus diesem Grund nicht zugemutet werden. Darüberhinaus sei eine Analyse einzelner Datenpakete aus dem Internet, die für eine eventuelle selektive Kontrolle der inkriminierten Inhalte notwendig wäre, aus datenschutzrechtlichen Gründen hochproblematisch.

Die Staatsanwälte zeigten sich gegenüber Schneiders Argumenten uneinsichtig. Sie stellen sich auf den Standpunkt, daß ein Service-Provider sich jedenfalls dann der Beihilfe schuldig mache, wenn er untätig bleibe, nachdem man ihn auf Internet-Adressen mit strafrechtswidrigen Angeboten aufmerksam gemacht habe.

Das Multimedia-Gesetz, das Rechte und Pflichten der Service-Anbieter umfassend klären soll, hat das Entwurfsstadium noch nicht hinter sich gebracht. Daher bleibt den Karlsruher Bundesanwälten bei der bestehenden Rechtslage ein großer Interpretations-Spielraum, von dem sie mit solidem Halbwissen Gebrauch machen.

Jedenfalls scheint man in Karlsruhe wenig aus den Erfahrungen der Mannheimer Staatsanwaltschaft gelernt zu haben, die Anfang des Jahres T-Online nötigte, den Zugriff auf die Webseiten des in Kanada lebenden Neonazis Zündel zu blockieren, mit dem einzigen Erfolg, Zündel unverhofft weltweite Unterstützung zu verschaffen. Die Pflicht ruft: es gilt, den Terrorismus zu bekämpfen. Da hält man sich nicht mit Spitzfindigkeiten über die technische Realisierbarkeit und Verhältnismäßigkeit der eingeleiteten Maßnahmen auf.

Für die Provider bedeutet diese Entwicklung eine doppelte Gefahr. Zum einen droht ihnen, wenn sie den 'Empfehlungen' der Staatsanwaltschaft nicht Folge leisten, der Kadi. Und natürlich riskiert kein Unternehmer in dieser jungen Branche aus bloßem Idealismus eine Vorstrafe. Aber selbst wenn sich die juristische Auffassung der Staatsanwälte vor Gericht nicht halten ließe, wäre bei einer Strafverfolgung der Provider im Vorfeld schon jede Menge Geschirr zerschlagen. Eine Beschlagnahme von Routern und Servern würde für die meisten Dienstanbieter innerhalb kürzester Zeit das wirtschaftliche Aus bedeuten.

Aus diesem Grund haben inzwischen die betroffenen Provider die von der Bundesanwaltschaft genannten Server serve.com und xs4all.nl vollständig gesperrt. Allein bei der dritten genannten Adresse, die nur ein Link auf Sites enthält, auf denen die Zeitschrift Radikal angeboten wird, trotzten sie der Drohung der Staatsanwälte.

Sascha Zumbusch, Geschäftsführer des Berliner Providers TCP/IP, hat allerdings wenig Verständnis für die Logik der Karlsruher Maßnahmen: "xs4all ist in Holland selbst ein Internet-Service-Provider", argumentiert Zumbusch: "Das heißt, man kann sich aus Deutschland per Modem und Telefonleitung direkt dort einwählen und die Zeitschrift Radikal herunterladen. Wollen die Staatsanwälte jetzt deswegen auch das ganze Telefonnetz kontrollieren?"

Auch in der internationalen Internet-Gemeinde wächst die Verärgerung über die Zensur-Freudigkeit deutscher Justizbehörden.

Die Betreiber von xs4all entzogen sich der Zensurmaßnahme zumindest zeitweilig durch einen einfachen Trick. Sie verlegten das Angebot auf eine andere numerische IP-Adresse, so daß der Server für die deutschen Provider unbemerkt wieder in deren Angebot war. Die Provider werden entweder eine Wache einsetzen müssen, um die Ausweichmanöver der Holländer zu verfolgen, oder sie sind gezwungen, das gesamte Netzwerk von xs4all zu sperren.

Aber auch damit lassen sich die Forderungen der deutschen Staatsanwälte letztlich nicht erfüllen. Denn weltweit schießen Mirror-Sites, auf denen das Radikal-Angebot von serve.com und xs4all.nl in Kopien zum Download bereitsteht, wie Pilze aus dem Boden.

ECO-Anwalt Michael Schneider ist der Ansicht, daß sich der Konflikt zwischen den deutschen Staatsanwälten und den Verfechtern unbeschränkter Redefreiheit im Internet nur dann lösen läßt, wenn eine der beiden Parteien nachgibt: "Entweder diese Leute hören damit auf, immer neue Kopien des Materials ins Netz einzuspeisen - und damit ist eigentlich nicht zu rechnen - oder die Bundesanwaltschaft sieht ein, daß ihre Maßnahmen nicht erfolgreich waren, und läßt die ganze Angelegenheit mehr oder weniger stillschweigend einschlafen."

Wenn jedoch weder das eine noch das andere eintritt, ist der Schaden unabsehbar - nicht nur für das Ansehen Deutschlands und seiner Justiz in der politisch äußerst sensiblen internationalen Internet-Gemeinde, sondern auch für die nationale Zukunft eines neuen Mediums, in dem sich eine effektive Kontrolle der Datenflüsse nur unter beträchtlicher Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit erzwingen läßt.

Lorenz Lorenz-Meyer, 40, ist Redakteur von SPIEGEL ONLINE.

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