sprungstelle, kress report vom 26. September 1996

Klicken Sie mal hier:

http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/

Wenn Sie auf einer schwarz eingefärbten Seite mir roter Schrift landen, können Sie sich gleich wieder zurückklicken. Der Inhalt der Seite wird Sie nicht weiter interessieren, es sei denn, Sie möchten wissen, wie man fachgerecht Bahngleise sabotiert.

Informationen dieser Art hält seit Jahr und Tag für das interessierte Publikum die linksradikale Zeitschrift "radikal" vorrätig. Mit dem deutschen Gesetz befindet sich die Gazette logischerweise im Dauerclinch; sie wird schon seit langem von den Niederlanden aus vertrieben, üblicherweise per Post über eine Deckadresse, seit kurzem auch über das WWW.

Wenn Sie diese Seite nicht erreichen, schieben Sie es nicht gleich auf das überbeanspruchte Internet. Denn es könnte gravierender sein.

Ende August schrieb die Bundesanwaltschaft deutsche Internetprovider an. Sie teilte die obige URL mit und machte darauf aufmerksam, daß die Provider sich unter Umständen der Beihilfe zu Straftaten wie "Werbung für eine terroritische Vereinigung" mitschuldig machten, weil durch ihre Modems, Router und Kabel der strafbare Inhalt der "radikal" durchgereicht wird.

Nun ist es unbestritten, daß die gesetzliche Erfassung des Cyberspace seiner technischen Verbreitung hoffnungslos hinterherhinkt. Gleichwohl haben sich schlaue Juristen schon einige Gedanken dazu gemacht. Ein Gesetzesentwurf aus dem Rüttgers-Ministerium liegt vor, und der erklärt in Paragraph 5, Absatz 3:

"Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich."

Der international führende Computerstrafrechtler Ulrich Sieber meint sogar, daß das insoweit schon der existierenden Rechtslage entspricht: "Es gibt kein spezielles Gesetz, nach dem ein Provider verhindern muß, daß über seine Leitungen strafbare Inhalte transportiert werden."

Sieber verweist allerdings darauf, daß seine Auffassung wohl nicht von allen Staatsanwälten geteilt wird, und damit kommen wir wieder zu der "radikal"-Adresse, die Sie vorhin erreichen konnten oder nicht.

Einige der Provider nämlich, die sich im Electronic Commerce Forum (eco) zusammengeschlossen haben und für Fälle wie diesen eine Internet Content Task Force (ICTF) gebildet haben, ließen sich von der Mitteilung der Bundesanwaltschaft eingeschüchtern. Aus Angst davor, daß Polizisten ihre aufstrebenden Büros entern und die Modems abklemmen könnten, versuchten sie, was die Bundesanwaltschft (noch) gar nicht verlangt hatte: den holländischen Provider xs4all mit der inkriminierten Seite zu sperren.

Was diese Maßnahme im Internet bewirkte, war absehbar: xs4all gab einen "Weltweiten Roten Alarm" aus, und binnen weniger Stunden tauchten von San Francisco bis Tokio Kopien, Kopien, Kopien, Kopien und Kopien auf. Das erklärte Ziel von xs4all war es, so viele Kopien weltweit zu verbreiten, daß sich Deutschland wie China und Singapur zur Geschlossenen Benutzergruppe erklären müßte, um die Verbreitung von "radikal" zu verhindern.

Tatsächlich erreicht wurde freilich paradoxerweise, daß die Kunden der Provider, die xs4all sperrten, zwar auf alle Kopien der verbotenen Seite zugreifen konnten, nicht jedoch auf legale Angebote von xs4all-Kunden, wie etwa die Informationen zum Treiben der Scientology-Kirche.

Was als nächstes passieren wird, ist unklar. Die deutschen Provider, die sich zunächst nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf des vorauseilenden Gehorsams zugezogen hatten, werden jetzt wieder mutiger und fordern eine kurzfristige gerichtliche Klärung der Frage, ob sie die Sperre aufrechterhalten sollen. Die großen Onlinedienste AOL, Compuserve und T-Online, allesamt gebrannte Kinder, hatten ohnehin gleich abgewunken und jede Verantwortung von sich gewiesen.

Einmal mehr zeigt sich, daß aus anderen Medien bekannte Kontrollmethoden im Internet scheitern. Verantwortlich dafür ist genau die Eigenschaft des Netzes, die es zu einem so interessanten Ort machen: Seine Dezentralität, seine Ubiquität, seine Universalität. Hat irgendjemand behauptet, daß es die umsonst gibt?

Boris Gröndahl

P.S.: Die Empfehlung zur Sperre von xs4all wurde am Abend des 24.09. aufgehoben. Eine Pressemittleilung soll unter http://www.anwalt.de/ictf/Index.htm erscheinen.